Tränen auf der Lieblingsmensch

Ich stehe im SO 36 und mir kullert eine Träne nach der anderen die Wangen herunter.

Gut, ich bin anderthalb Tage vor Einsetzen meiner Periode und ich habe ein Glas Rotwein intus, mir ist bewusst, dass es auch damit zu tun hat, dass ich emotionaler als sonst auf Situationen reagiere, aber ich bin schon ernstlich gerührt, überwältigt.

Ich habe mit vielem gerechnet auf einem von Pinkstinks ausgerichteten Abend, und einiges davon auch bekommen: das Bashing von Germanys Next Top Model, als wäre die Sendung die Wurzel allen Übels und nicht bloß ein meinetwegen besonders widerlicher, vielleicht sogar einflussreicher und Besorgnis erregender, Auswuchs davon; den furchtbaren Satz „Plus Size ist die Behinderung des Modebetriebs“, der von der berechtigterweise sichtlich konsternierten Moderatorin Ninia LaGrande noch mit einem durchaus zurück haltenden: „Ich kann nur sagen, Behinderte sind auch die Behinderten der Modebranche“ quittiert wird; dass Nicht-Weisse Menschen nur als Musiker*innen und das vereinzelte Model, nicht als Speaker*innen, nicht als Expert*innen, auftreten; eine Fülle von vereinfachten, Pseudo-empowernden Sätzen, die mehr dazu geeignet sind, das Publikum zu animieren, „Woohoo“ zu rufen, als dem sexistisch-lookistischen Normalzustand eine Alternative entgegen zu setzen.

Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es diese Momente diesen Abend wirklich noch geben wird. Ich dachte nur: „naja, ich finde die öfter kritisch, aber es sind Größen des Feminismus für lau zu sehen und ich bin zufällig in Berlin und habe den Abend nichts anderes vor, mal reinsehen.“

Ich wusste aber auch vorher nicht, dass ein Teil der Show die Präsentation der Dessous von Ina Holub auf dem eigens dafür an die Bühne gebauten Laufsteg sein würde. Die Inhaberin eines Ladens für Plus Size Vintage Mode (und Model, und Burlesquetänzerin, und und und), schreibt auf ihrem Blog, dass sie von Sookee selbst eingeladen bzw, weiter empfohlen wurde: „Für solche Vernetzungen und Solidarisierungen liebe ich Internet!“

Sie selbst dankt im Review des Abends erstmal allen Models, die mitgemacht haben, völlig gleich, ob sie schon länger Performerinnen / Models sind oder das erste Mal auf der Bühne standen.

Ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass genau dieser Geist durch einen Großteil des Abends wehte. Es ging einmal nicht darum, wer sich besser präsentierte, wer den größten Beitrag für den Feminismus(TM) leistete, wer das eigene Label, die eigene Marke als progressivste, radikalste, sexyeste positionierte.

Sondern darum, diese Bühne zur Verfügung zu haben und sie mit denen zu teilen, die eine selbst toll findet, feiert, von der eine glaubt, mehr Menschen sollten sie sehen. Es ist genau diese Abkehr von Konkurrenzdenken und das Zelebrieren des gegenseitigen Supports, die mir die Tränen in die Augen treibt, als Tamika, Bernadette La Hengst und Sookee zum Auftritt von Finna dazu stoßen. Finna, die offensichtlich aufgeregt und begeistert ist hier zu sein, die dem Publikum erzählt, dass sie selbst Fan von allen ist und wie viel es ihr deshalb bedeutet, nun mit diesen eine Bühne zu teilen. Den ganzen Abend über bitten die Frauen*, die jeweils auftreten, die anderen mit auf die Bühne. Bernadette LaHengst, die als einzige außer den Models den Laufsteg nutzt, feiert nicht nur sich selbst, sondern auch die Musiker*innen mit ihr auf der Bühne, die wirken, als wären es zwei ihrer Freund*innen und die Tochter* der einen.

Ich fühle mich dabei an Frauen* in meinem Umfeld erinnert, Frauen*, die ich erst als Namen auf Flyern wahrgenommen habe, bevor ich sie persönlich kennen lernen durfte, die ich aus der Ferne bewundert habe, bevor ich dann gemerkt habe, dass sie selbst sich als genauso unsicher und zweifelnd erleben wie ich mich auch.

Daran, wie wir uns gegenseitig bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Bühnen heben, die wir zu bieten haben, auch wenn es kleinere mit weniger Publikum sind.

Klar, auf den Panels und bei den Zwischenmoderationen war die Selbstdarstellung dann wieder groß. Ich möchte da gar nicht groß drüber herziehen, ein Teil der dort Versammelten macht sicher auch wichtige Arbeit. Hängen geblieben sind mir bloß die Aktionen des peng!Collective, die im März 2015 einen Bot programmierten, der Usern, die misogynen Mist bei Twitter verzapften, automatisch Links zu einem Video-Selbsthilfekurs schickte, bei dem sie lernen konnten, sich im Netz anständig und respektvoll zu verhalten und Feminismus zu akzeptieren.

Diese Beweise des gegenseitigen Supports finde ich noch wichtiger als die ausdrücklich gegen Lookism gerichteten Programmpunkte. Die Fashion Show ist für mich emotional nicht so berührend, aber ich freue mich natürlich wahnsinnig, diese Frauen* voller Stolz und Selbstbewusstsein über den Laufsteg schreiten und mit frenetischem Applaus gefeiert zu sehen – Models, die nicht nur Plus Size jenseits von Größe 42 sind, sondern auch of Colour, über 50, mit Be-Hinderung. Klingt wie eine Aufzählung „abweichender“ Attribute? Ja, und so fühlt es sich auch ein wenig an – aber ich bin mir auch nicht sicher, wie das besser gelingen kann bei einer so kurzen Sequenz mit gerade einmal neun Models. Trotzdem ist es wahnsinnig befreiend zuzusehen, wie sich hier Frauen*, deren Körper sonst als unattraktiv gelten, völlig selbstverständlich und sich in der Rolle wohl fühlend in auf sie zugeschneiderten Dessous präsentieren.

Dafür geht meine Heulattacke weiter, als Finna direkt zwei Texte zu Körperschemastörung raushaut, weil all die Widersprüche mit dem Thema gar nicht in einen passen – einen „scheiss drauf, mir egal wie ihr mich seht, was mir vorgehalten wird, ich find mich toll“ und einen „ich kann mich doch nicht davon freimachen und obwohl ich mich als Feministin verstehe habe ich diese Ansprüche an mich, von denen ich doch weiß, dass sie unrealistisch sind“, ein Dauerbrennerthema, bei dem ich mich damit abgefunden habe, dass es mich noch den Rest meines Lebens begleiten wird, bei dem ich, obwohl ich es inzwischen ein paar Mal mitbekommen und durchdacht habe, nach wie vor jedes Mal erleichtert bin, wenn ich mitbekomme, dass es anderen auch so geht.

Es geht an diesem Abend nicht ausdrücklich darum, aber ich höre und lese in letzter Zeit wieder viel zum Fehlen von Utopien. Und für mich persönlich scheinen ein paar utopische Momente auf, in denen ich denke, ich möchte, dass das immer so laufen könnte. Ich wünsche mir eine Welt in der wir umso lauter applaudieren wenn eine stolpert oder fällt. In der allen Körpern zugestanden wird, dass sie attraktiv und sexy wirken können, wenn ein*e das will. In der wir Abendkleider tragen ,weil wir Bock auf Glamour haben, ohne uns darum zu scheren, ob es angemessen erscheint. In der wir in der Lage sind über unsere Aufregung, unsere Unsicherheiten und Zweifel und unsere Sorgen miteinander zu reden, auch mit denen, die wir vorher für so viel cooler hielten. In der wir einander mit in unsere Projekte, zu unseren Auftritten holen, in denen wir einander neue Möglichkeiten, öffentlich in Erscheinung zu treten, schaffen.