Ein Scheißjahr ist zu Ende

Als ich Anfang 2014 meine Masterarbeit zu feministischem Protest im öffentlichen Raum anfing, leitete ich diese noch mit den Worten ein, dass 2013 in den deutschsprachigen Medien als das Jahr, in dem der Feminismus sein Comeback hatte, gehandelt wurde. Natürlich war der Feminismus nie verschwunden, aber Aktionen wie #aufschrei oder die Slutwalks sorgten bei aller Streitbarkeit und berechtigten Kritik dafür, dass auch in Mainstreammedien ausgiebig über Sexismus diskutiert wurde – nicht immer im Sinne der Erfinder_innen, aber mehr als zuvor.

Ein Jahr später scheint diese Zeit unendlich weit weg. Zum Feminismus 2014 fällt mir als erstes nur ein Wort ein: Backlash. Gegenschlag.

Mir fällt kaum ein Beispiel ein für eine 2014 gestartete neue Entwicklung oder Bewegung oder Initiativen, die breite Aufmerksamkeit und/oder Zustimmung zumindest in den Zielen erhalten hätten. Wo neue Freiräume erkämpft oder noch darum gerungen wurde, gab es mehr Gegenwind als Beifall und Erfolge:

Demonstrationen und Stimmungsmache gegen einen Bildungsplan, der vorsieht, Lebens- und Beziehungsgestaltungen, die vom Vater-Mutter-Kind-Schema abweichen, Raum in Unterrichtsmaterialien einzuräumen. Gegen den Vorschlag auch Übungen und Diskussionen in den Unterricht einzubringen, die gerade andere körperliche Handlungen als sexuelle, gerade Konsensprinzipien und das Benennen von eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Interessen praktizieren. Aber Gegner_innen der Eröffnung eines Raums andere Themen als sexuelle Reproduktion im Biologieunterricht zu besprechen hielten sich nicht mit Fakten auf, sondern nutzten den Anlass, vor der Frühsexualisierung und Homosexualisierung von Kindern zu warnen – fragt sich wie natürlich Heterosexualität eigentlich sein kann wenn sich Jugendliche allein durch die positive Erwähnung anderer Sexualitäten umpolen ließen.

Bestsellerbücher und erfolgreiche Kolumnen von Männern, die gegen Gleichberechtigung, Feminismus, „Gender-Wahn“/ „Gender-Ideologie“ und Gender-Mainstreaming wettern, munter alles in einen Topf werfen, obwohl sie bei keinem der Begriffe eine Ahnung haben, was dahinter eigentlich steckt und wofür die Vertreter_innen wirklich eintreten. Allen voran Akif Pirinçci, dem, auch wenn die in „Deutschland von Sinnen“ vertretenen Behauptungen zurecht kaum jemand ernst nahm, nicht nur bei der AfD und PeGiDa eine Bühne geboten wurde. Die bei Robin Detje treffend als Ulfharaldjanmatthiaszusammengefassten Journalisten, deren Angst oder auch einfach nur Unwille, Minderheiten auch nur die Vermeidung sie verletzender Sprache geschweige denn sonstige Rechte zuzugestehen sich im dauernden Ankreiden von Feminismus, Gutmenschentum und Political Correctness äußert.

Das Aufgreifen dieser Ansichten von Demonstrationen und Medien aus rechter Ecke, die keine Vereinnahmungen darstellen, sondern deutlich machen, dass ein Beharren auf der Richtigkeit einer zweigeschlechtlichen Norm mit klaren Rollenverteilungen und einem traditionellen Familienbild ein Thema ist, dass rechts(radikaler) Politik nahesteht. Akif Pirincci versammelt unter seinen Fürsprechern das gesamte Spektrum der „neuen Rechten“: eigentümlich frei, die Junge Freiheit und Politically Incorrect. Dass die Propagierung konservativer, heterosexistischer Familienbilder gegen antisexistische Interventionen eine Brücke zwischen konservativem Feuilleton über christliche Fundamendalisten bis zu rechtsextremen Weltbildern schließt ist ein so weitreichendes Problem dass es der antifaschistischen Zeitung Lotta eine Sonderausgabe wert war.

Die unter dem Stichwort GamerGate bekannt gewordene Serie von Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, Stalking und Veröffentlichung privater Details als Waffe gegen Aktivistinnen, die Misogynie in der Gamingindustrie anklagen. Die zur Folge haben, dass Betroffene aus Angst nicht nur ihre langjährige Arbeit, sondern gleich ihre Wohnungen verlassen – und in der Community als Erfolge gefeiert werden.

Elliot Rodgers Morde an Frauen* (und Männern*, die er als Opfer mit in Kauf nahm, da er ihnen unterstellte ungerechterweise mehr „Erfolg“ im Beziehungsleben zu haben als er selbst) als Rache dafür, als „Nice Guy“ kein Interesse bei Frauen* zu wecken. Reaktionen in Presse und Foren, die versuchen, die erschreckende Allgegenwärtigkeit der von Rodger vertretenen Ansichten herunterzuspielen und ihn als psychopathologischen Einzelfalldarzustellen, obwohl Videos und Texte vorliegen, die offenbaren, welches objektifizierende, selbstherrliche Verständnis von Frauen* und ihrer Rolle der Motivation zu den Morden zugrunde liegt.

Selbsternannte Pick-Up Artists, die als erfolgsversprechende Strategien um Frauen „herumzukriegen“ ausdrücklich Manipulationen, Übergriffigkeit und sexualisierte Gewalt befürworten und weiterempfehlen. Gegen die widerlichsten der Firma Real Social Dynamics formierte sich zwar erfolgreicher Widerstand, aber die misogynen Grundsätze, Weltanschauungen und Praktiken bleiben weit verbreitet.

Versuche, die Realität von Trans- und Intersexuellen anzuerkennen und sichtbar zu machen, indem die Option für einen dritten Geschlechtseintrag oder neutrale Nomenendungen und Pronomen festgeschrieben werden, die abgeschmettert, verlacht, als übertrieben dargestellt wurden.

Die Spitze des Eisbergs was explizit feministische Themen angeht. Zu Schweigen von HoGeSa und PeDiGa, von einer rassistischen, menschenverachtenden Flüchtlingspolitik, von antisemitischen Ausfällen, von anhaltenden rassistisch motivierten Morden nach denen die Opfer als Verbrecher*innen dargestellt werden.

Der sehr empfehlenswerte, als Lexikon verfasste Jahresrückblick der Mädchenmannschaft weiß nicht viel mehr Positives zu berichten als Literaturempfehlungen und kleine Schritte in Punkten, für die seit Jahren gestritten wurde, wie die Frauenquote oder die rezeptfreie Pille danach. Die Musikzeitschrift Spex betitelt die Jahresendausgabe mit den treffenden Worten: „Ein Scheißjahr geht zu Ende“ – und bezieht sich damit nicht auf Musik und andere kulturelle Ereignisse, sondern eben auf politische Entwicklungen.

Hoffnungsschimmer? Vielleicht wird von dieser Wunschliste ja der ein oder andere Punkt wahr?